Manchmal lässt Gott es einfach laufen …

Hallo liebe Leser meines bibelBLOG. In meiner bibelZEIT vor einigen Tagen bin ich bei der Lebensgeschichte von Joseph hängen geblieben. Immer wieder staune ich über dieses Leben und bin hin und hergerissen zwischen Bewunderung und Mitleid. Wie hoch wurde Joseph von Gott erhöht und wie mächtig wurde er von Gott gebraucht. Aber was musste dieser Mann schon in jungen Jahren aushalten und wie geduldig musste Joseph auf das Eingreifen Gottes warten? Aus dieser Spannung heraus wurde mir eine „erschreckende Wahrheit“ wieder ganz neu bewusst:

Joseph war 17 Jahre alt, als die Bibel anfängt mit seiner Geschichte (1Mo 37,2). Seine Kindheit war von einer Spannung gezeichnet: Auf der einen Seite verwöhnt vom Vater und auf der anderen Seite gehasst von seinen Brüdern, die neidisch auf ihn waren. Konnte Joseph irgendetwas für diese Spannungen? Ich glaube nicht! Denn was kann ein Kind für die Fehler seiner Eltern? Niemand von uns kann die Grundmuster beeinflussen, die durch das Elternhaus in uns hinein gelegt wurden. Natürlich, irgendwann gilt es, die Muster kritisch zu hinterfragen. Aber niemand von uns kann Verantwortung für seine Grundprägungen übernehmen.

Die Bibel erzählt davon, wie Joseph in seiner Familie ganz freimütig seine Träume erzählte, in denen er als König vor allen anderen stand. War er wirklich so arrogant? Oder ging er einfach nur davon aus, dass die Worte seines Vaters, die ihn ja immer bevorzugt hatten, die Wahrheit waren? Ich tendiere zu Zweiteren!

Nichts desto trotz hatten die Brüder von Joseph wenig Verständnis für dessen Prägung. Eines Tages packten und verkauften sie ihren Bruder nach Ägypten. Die Bibel beschreibt nichts von der Zeit, in denen der 17 Jährige als Sklave in einer Karavane mitreisen musste. Sie beschreibt auch nicht, wie es war, als Sklave nackt auf einem Markt feil geboten zu werden. Aber die Bibel braucht auch nichts darüber zu schreiben. Meine Fantasie reicht vollkommen aus. Warum hat Gott Joseph nicht bewahrt vor diesem Horror?

Nun, scheinbar war es Gottes Plan, dass Joseph durch diesen kurzen Horrorweg ins Haus von Potiphar, einem reichen Ägypter kommen sollte. Die Bibel schreibt, dass Gott bei allem, was Joseph tat, seinen Segen dazu gab (1Mo 39,2). Und so machte Joseph schnell Kariere. Bald hatte er die Verantwortung für das komplette Anwesen und der Hausherr selber kümmerte sich um gar nichts mehr (1Mo 39,6). An dieser Stelle empfinde ich beim Lesen immer tiefe Genugtuung. Jawohl, jetzt ist Joseph doch fein raus. Kein Viehhirte mehr sonder Manager! Aber dann kommt die Geschichte mit der Frau von Potiphar, einer schlampigen Person die bald Sex mit den jungen hübschen Sklaven haben wollte.

Immer wieder musste Joseph – der ja selber mitten in der Pubertät und einiges an sexuellen Bedürfnissen gehabt haben dürfte – den erotischen Annäherungen seiner Herrin entfliehen. Irgendwann reicht es der Frau abgelehnt zu werden. Sie beschuldigt Joseph der Vergewaltigung und sorgt dafür, dass er ins Gefängnis muss. Die Bibel nennt dieses Gefängnis übrigens eine „Loch“ (1Mo 41,14) und das hilft zu verstehen, wie hart der Absturz für Joseph gewesen sein muss. Natürlich lesen wir auch, dass Joseph im Gefängnis bald zum Gehilfen des Kerkermeisters ernannt wurde (1Mo 39,21), aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Joseph dort sehr wahrschlich mit Ratten und umgeben von Dreck leben musste.

Wir wissen nicht genau, wie lange Joseph nun im Gefängnis bleiben musste. Aufgrund von 1Mo 41,1 wissen wir aber, dass es mehrere Jahren waren, die er dort verbrachte. Er versuchte zwar, sich Verbündete zu suchen, um durch deren Gunst aus dem Knast zu gelangen (1Mo 40,14), aber keiner seiner „Freunde“ half ihm aus dieser Situation heraus (1Mo 40,23).

Warum half Gott dem Joseph immer nur „halb“? Einerseits ließ der das Werk seiner Hände gelingen – im Knast wie schon zuvor bei Potiphar – andererseits ließ er aber auch zu, dass Joseph ohne eigene Schuld immer wieder abstürzte? Und hier haben wir es wieder das Stichwort: Ohne eigene Schuld! Joseph war nicht schuld gewesen an seiner Familienprägung. Er war nicht schuld am Neid seiner Brüder. Er war nicht schuld an seiner Versklavung. Er war nicht schuld an den Anschuldigungen seiner Herrin. Und er war auch nicht schuld daran, dass er für viele Jahre im Knast schmoren musste.

Und trotz seiner Unschuld musste er erleben, dass er immer wieder die Verantwortung tragen musste für die Schuld anderer! Und ich glaube, dass diese Erkenntnis wichtig ist! Auch wenn wir nicht schuld sind an vielen Umständen in unserem Leben, leben müssen wir doch damit! Und am Beispiel von Joseph wird zusätzlich noch deutlich: Wenn Gott uns überhaupt irgendwann einmal aus diesen unverschuldeten Situationen heraus hilft, so kann sein klares und deutliches Eingreifen doch manchmal seeeeeeeehr lange dauern.

Bei Joseph zu mindestens ganze 13 Jahre! Denn in 1Mo 41,46 steht, dass Joseph 30 Jahre alt war, als er schlussendlich aus dem Gefängnis heraus kam und sein neues Leben als Mitarbeiter des Pharao von Ägypten begann. Gott ließ zu, dass Joseph 13 Jahre lang als erniedrigter Sklave leben musste – völlig unschuldig – bevor er ihn dann offensichtlich für die zweite Hälfte seines Lebens erhöhte.

Nun könnte man diese Geschichte idealisieren und sagen: Nun gut … Gott hat Joseph vorbereiten wollen! Und das stimmt sicher auch. ABER … nichts desto trotz musste Joseph 4745mal schlafen gehen, voller Verzweiflung und Unwissenheit, ob sich seine Situation jemals ändern würde.

Und das ist mein Punkt für heute: Gott kann immer helfen. Gott kann immer heilen. Gott kann jede Situation verändern. ABER … ob bzw. wann er hilft, heilt oder verändert, das ist schlichtweg nicht klar. An diesem Prinzip ändert auch die Tatsache nichts, dass wir eventuelle völlig unschuldig in manchen Situationen festhängen. Möge Gott mir und euch das Vertrauen schenken, dass er um unserer Situation weiß. Möge Gott uns die Geduld schenken, auf sein Eingreifen zu warten. Möge Gott uns die Kraft schenken unsere Situationen zu ertragen, für den Fall, dass er diese niemals verändern sollte.

Alles Liebe, euer Marlon Heins